Mittwoch, 2. Juli 2025

Eine bayerische Universitätengeschichte

Im Wintersemester 2024/25 waren mehr als 400.000 Studierende an 59 bayerischen Hochschulen eingeschrieben, von forschungsstarken Großuniversitäten—wie der Ludwigs-Maximilians-Universität oder der Technischen Universität München—bis zu Nischeninstituten. Seit wann gibt es Universitäten in Bayern? Und wie kam es zu dieser Vielfalt? Ein Überblick über die Hochschulgeschichte des Freistaats.

Europäische Anfänge

Die Universität ist eine Schöpfung des Mittelalters. Als älteste Universität Europas gilt Bologna—angeblich gegründet 1088, was aber vermutlich 50 Jahre zu früh datiert ist.[1] Im 12. Jahrhundert folgten Paris und Oxford.

Frühe Universitätsgründungen
Es ist nicht ganz einfach, die frühen Universitäten unter einen Hut zu bringen. Bologna entstand aus dem Zusammenschluss mehrerer Rechtsschulen. Treibende Kraft war ein aufstrebendes Stadtbürgertum, das nach Bildungsmöglichkeiten suchte. In Paris hielt die Kirche das Zepter in der Hand: Gregor IX., Papst von 1227-41, wollte die Universität zur höchsten Schule der Christenheit machen. Oxford wiederum verdankt seinen Aufstieg dem englischen Königshaus. Henry II. untersagte seinen Untertanen 1167 das Studium in Paris und schuf eine Alternative vor Ort. Im 13. Jahrhundert folgte eine ganze Reihe weiterer Universitätsgründungen, alle außerhalb des deutschen Sprachraums: in Italien (Padua, Neapel), Spanien (Palencia, Salamanca), Frankreich (Montpellier, Orleans, Toulouse) und in England (Cambridge).

Mit der Zeit bildete sich eine Standard-Universitätsverfassung heraus, der fast alle Hochschulen folgten. Entscheidend war der Erwerb eines kaiserlichen und/oder—je nach Machtverhältnissen—päpstlichen Privilegs: es sicherte den Universitäten Unabhängigkeit von lokalen Machthabern zu, also Steuerfreiheit, eine unabhängige Gerichtsbarkeit, und freies Geleit—Lehrende wie Lernende standen unter Schutz, wenn sie auf dem Weg zur Bildungsstätte fremde Territorien durchquerten.

Die Universität kommt nach Deutschland...

Das abendländischen Schisma des 14. Jahrhunderts löste eine neue Gründungswelle aus, die diesmal auch Deutschland umfasste. Die Anziehungskraft italienischer und französischer Universitäten litt unter den rivalisierenden Päpsten in Rom und in Avignon, deutsche Studenten brauchten Alternativen. Die älteste ‚deutsche‘ Universität gründete Kaiser Karl IV. 1348 in Prag. 1365 zog der Habsburger-Herzog Rudolph mit der Rudolfina in Wien nach, 1386 der Wittelsbacher Pfalzgraf Ruprecht I. mit der Universität Heidelberg. Die erste Universität auf (heute) bayerischem Boden entstand in Würzburg, gegründet von Bischof Johann von Egloffstein im Jahr 1402—allerdings musste sie nur wenige Jahre später wegen finanzieller Schwierigkeiten wieder schließen.

... und nach Baiern

Hohe Schule Ingolstadt
1472, an der Schwelle zur Neuzeit, bekam auch Baiern seine erste Universität. Ludwig IX. ‚der Reiche‘, Teilherzog von Niederbaiern-Landshut, war es leid, dass die begabtesten Landessöhne nach Heidelberg oder Wien abwanderten.[2] In seiner Residenzstadt Landshut wollte er die aufmüpfigen Studenten allerdings nicht haben. Stattdessen brachte er sie in Ingolstadt unter, das bis 1447 selbst Sitz eines Teilherzogs gewesen war, und das mit der Universität für den Bedeutungsverlust entschädigt werden sollte. Schnell stieg Ingolstadt zu einer führenden Universität Süddeutschlands auf.[3]

Hauptmotiv für eine Universitätsansiedlung war Prestige: jeder Landesherr, der es sich leisten konnte, gönnte sich eine Unversität. Im Bereich des heutigen Freistaats Bayern folgten auf Ingolstadt:

·    1553: Dillingen an der Donau, in der Residenzstadt der Augsburger Bischöfe;

·    1582: die Zweiteröffnung der Universität Würzburg durch Fürstbischof Julius Echter, diesmal mit dauerhaftem Erfolg;

·    1623: Altdorf, als Universität der Reichsstadt Nürnberg;

·    1647: Bamberg durch die dortigen Fürstbischöfe;

·    1742: Bayreuth durch die Hohenzollern-Markgrafen—die nur ein Jahr später die Universität nach Erlangen verlegten.[4]

Organisation und Sozialstruktur

Vorlesung um 1500
Mit den heutigen Universitäten darf man die frühneuzeitlichen Schöpfungen freilich nicht vergleichen. Sie waren klein, meist zählten sie nur ein paar hundert Studenten. Die Mehrzahl der Studenten studierten an der „Artistenfakultät“: ein vor-akademisches Studium Generale, in dem unter anderem lateinische Grammatik und Logik unterrichtet wurde. Das Vorstudium war nötig, weil die Studenten in sehr jungem Alter—15 oder 16 Jahre—und mit den unterschiedlichsten schulischen Voraussetzungen an die Universität kamen. Erst nach Abschluss des Artistenstudiums konnten sich die begabtesten Studenten an einer den drei ‚klassischen’ Fakultäten einschreiben: Theologie, Jurisprudenz und Medizin.

Vorausgesetzt, ihre Familien konnten sich das Studium leisten. Egalitär waren die frühen Universitäten nicht: adlige Studenten—in Ingolstadt knapp ein Fünftel der Studentenschaft—genossen Privilegien, wie die Befreiung von Prüfungsverpflichtungen. Und doch wurden die Universitäten mit der Zeit zu einem Vehikel der sozialen Durchlässigkeit. Akademische Titel wie Magister oder Doktor verliehen Prestige und schufen den Kern einer intellektuellen Elite, die neben die althergebrachten Stände des Adels und des Klerus trat.

Wer zahlt, schafft an

Julius Echter von Mespelbrunn: Fürstbischof,
Universitätsgründer, Gegenreformator
Die frühneuzeitlichen Universitäten waren stark von ihren Landesherren geprägt, die ihnen Einnahmequellen verschufen—etwa durch Übertragung von Abgaben und landwirtschaftlichem Besitz. Und die Absolventen einstellten: insbesondere im Zeitalter des Absolutismus ab ca. 1650, als die  öffentlichen Verwaltungen stark anwuchsen, stieg der Bedarf an universitär ausgebildeten Staatsdienern.

Im Gegenzug verlangten die Landesherren Einfluss, was die Universitäten in politische Auseinandersetzungen verwickelte. Ingolstadt, Dillingen und Würzburg kamen im 16. Jahrhundert unter die Kontrolle des Jesuitenordens, und wurden zu intellektuellen Speerspitzen der katholischen Gegenreformation. Umgekehrt war Altdorf Hort eines kaum weniger dogmatischen Luthertums und evangelische Vorzeigeuniversität, bis Erlangen ihm im 18. Jahrhundert den Rang ablief. Die Dogmatisierung rächte sich mit der ab circa 1720 einsetzenden Aufklärung, als modernere und von freierem Geist getragene Gründungen wie Göttingen oder Halle die süddeutschen Universitäten in den Schatten stellten.

Die zentralbayerische Zäsur

Im Zuge der napoleonischen Kriege fielen Kurfürst (und später König) Maximilian Joseph und seinem Minister Montgelas mit den fränkischen und schwäbischen Territorien auch die ortsansässigen Universitäten zu. Ganz im zentralistischen Geist der  Zeit wollten sie nur eine einzige Landesuniversität zulassen: Landshut, wohin die altbayerische Universität 1800 umgezogen war, um dem Ansturm napoleonischer Truppen auf die Militärfeste Ingolstadt zu entgehen. Zwei Universitäten in Franken vermochten sich zu wehren: Würzburg überzeugte die Staatsführung, dass es sich selbst versorgen könne und keine Zuschüsse benötige. Und Erlangen argumentierte erfolgreich, es werde für die Ausbildung lutherischer Theologen gebraucht. Altdorf, Bamberg und Dillingen aber wurden geschlossen.

Die nächsten 160 Jahre sollten diese drei Universitäten Bayerns akademische Landschaft bestimmen: die Ludwigs-Maximilians Universität (LMU)—welche König Ludwig I. 1826 von Landshut in seine Hauptstadt München holte—die Julius-Maximilians Universität Würzburg, und die Friedrich-Alexander Universität Erlangen (seit 1961 mit einem Zweitsitz in Nürnberg).[5]    

Frischer Wind aus dem Norden—und aus der Praxis

Wilhelm von Humboldt
1810 gründete der preußische Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt die (heute nach ihm benannte) Berliner Universität. Humboldts Bildungsideal, mit der Betonung zweckfreier Forschung und akademischer Freiheit, übte im Verlauf des 19. Jahrhunderts starke Anziehungskraft aus, in Deutschland ebenso wie im Ausland. Der Fächerkanon verbreiterte sich: die Universitäten richteten jetzt auch natur-, geistes- und wirtschaftswissenschaftliche Fakultäten ein. 

Bayerns Universitäten mussten sich dem Konkurrenzdruck stellen. Sie taten dies durchaus erfolgreich: Ende des 19. Jahrhunderts war München die zweitgrößte Universität Deutschlands nach Berlin. Und von den 60 ersten naturwissenschaftlichen Nobelpreisen gingen zwischen 1901 und 1920 immerhin drei nach München, einer nach Würzburg (vier an die Humboldt-Universität).

Die Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende Industrialisierung schuf eine neue Herausforderung: Bedarf an gut ausgebildetem, technischem Fachpersonal. Die Forschungsunversitäten konnten diesen Bedarf nicht abdecken. So entstand eine zweite Gruppe von Hochschulen, die sich stärker am praktischen Nutzen orientierten. Eine wichtige Gründung war die 1868 von König Ludwig II. eingerichtete polytechnische Schule München, die sich auf die Ingenieursausbildung konzentrieren sollte. Schon 1877 wurde aus ihr die Technische Hochschule München, deren Fächerkanon breiter angelegt war, mit einem zweiten Schwerpunkt in den Naturwissenschaften. 1901 erwab sie das Promotionsrecht, und 1970 wurde sie umbenannt in Technische Universität (TU) München. Heute ist die TU München neben der Ludwig-Maximilians Universität Bayerns größte und forschungsstärkste Universität.

Jüngere Entwicklungen

Drei Entwicklungen bedürfen noch der Erwähnung. Erstens der Brain-Drain in der Zeit des Nationalsozialismus. Scharenweise verließen führende Wissenschaflter Deutschland, wovon sich die Universitäten bis heute nicht erholt haben. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: gingen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik fast ein Drittel aller naturwissenschaftlichen Nobelpreise nach Deutschland—und 6 Prozent nach Bayern—so fielen diese Ziffern nach 1945 auf 8 bzw. 2 Prozent.

Geplanter Campus der TU Nürnberg
Zweitens die Welle neuer Universitätsgründungen, welche 1962 mit der Universität Regensburg begann. Ziel war, die alten drei Landesuniversitäten—München, Würzburg, Erlangen—zu entlasten. Es folgten Augsburg (1970), Bayreuth (1975), Passau (1978), und Bamberg (1979). Die jüngste Universitätsgründung in Bayern war 2021 die Technische Universität Nürnberg.

Schließlich die Einrichtung von Fachhochschulen (FHs) ab 1971. Hier wiederholt sich teilweise die Geschichte der polytechnischen Schulen des 19. Jahrhunderts. Auch Fachhochschulen wurden gegründet, um eine praxisnahe Alternative zur Universität zu schaffen. Aber schon bald eiferten auch sie genau jenen Universitäten nach, die sie eigentlich ergänzen sollten. Die meisten FHs nennen sich heute „Technische Hochschule“ (!) oder „Hochschule für angewandte Wissenschaft“. Viele bemühen sich um das Promotionsrecht, und seit der Bologna-Reform von 1999—als sich die EU-Mitgliedstaaten auf die Vergleichbarkeit von Studienabschlüssen verständigten—sind ihre Studiengänge von jenen der Universitäten kaum mehr zu unterscheiden.

Kaum überblickbare Vielfalt

Bayerische Hochschulen heute
Heute ist Bayerns Hochschullandschaft so vielfältig, dass es schwierig ist, den Überblick zu behalten. Im Wintersemester 2024/25 beherbergten Bayerns Hochschulen mehr als 400.000 Studierende, über 20 Prozent aus dem Ausland. Gut 250.000 studierten an insgesamt 14 Universitäten—welch Explosion im Vergleich zu etwa 1950, als rund 20.000 Studierende an Bayerns Universitäten eingeschrieben waren, oder gar 1850, als die Zahl unter 3000 lag. Nochmal rund 150.000 studierten an 34 Fachhochschulen—in fast jeder mittelgroßen bayerischen Stadt gibt es heute zumindest eine FH. Etwas weniger als 4.000 Studierende waren an acht Kunsthochschulen eingeschrieben, knapp 500 an zwei theologisch-kirchlichen Hochschulen (Hochschule für Philosophie München und Augustana Neuendettelsau), und 5000 an der Verwaltungshochschule für den öffentlichen Dienst.

Die größten Hochschulen Bayerns sind die TU und die LMU München mit jeweils 54.000 Studierenden—dies macht sie auch zu den größten Präsenz-Universitäten Deutschlands. Es folgen Erlangen-Nürnberg mit 40.000 und Würzburg mit 26.000 Studierenden: die Universitäten des 19. Jahrhunderts sind zwar nicht mehr allein, führen aber weiterhin. 

Und die kleinste? Ist die Hochschule für evangelische Kirchenmusik in Bayreuth, mit 24 Studierenden. 


Bildnachweise: sämtlich Wikimedia Commons, mit Ausnahme von "Vorlesung um 1500" (Universitätsarchiv Freiburg via Historisches Lexikon Bayerns) und "Bayerische Hochschulen heute" (CEUS Universität Bayreuth).


[1] Parma und die Medizinschule von Salerno erheben den Anspruch, noch älter als Bologna zu sein, aber der Gehalt des Anspruchs lässt sich kaum überprüfen—auch weil umstritten ist, ab wann genau eine „höhere Schule“ als Universität zählt.

[2] Viele Landshuter Teilherzöge des späten Mittelalters trugen den Beinamen „der Reiche“. Ihr Wohlstand speiste sich vor allem aus der Kontrolle der Salzminen um Bad Reichenhall. Die mit den Landshuter Teilherzögen konkurrienden Münchner Teilherzöge fassten in 1480er Jahren eine Universitätsgründung in Regensburg ins Auge, scheiterten aber am Verbot Kaiser Friedrichs III., die freie Reichststadt in das Teilherzogtum einzugliedern. Mit der Vereinigung der bairischen Teilherzogtümer 1503 (unter Münchner Führung) wurden solche Pläne obsolet.

[3] 1537 verlegten die Baiernherzöge zudem die Armee nach Ingolstadt. In der Folgezeit kam es immer wieder zu Konflikten zwischen Studenten und Soldaten.

[4] In Fürth gab es ab 1606 eine Jeshiwa, spezialisiert auf die Ausbildung jüdischer Rabbiner.

[5] Für die Universitäten München und Würzburg ist Kurfürst Maximilian Joseph der zweite Namensgeber, neben den eigentlichen Gründern Herzog Ludwig IX. und Julius Echter. Erlangen ist nach zwei Hohenzollern-Markgrafen benannt.

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