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Donnerstag, 14. Dezember 2023

Bayerns schwäbisches Erbe

Neben Altbayern und Franken ist Bayerisch Schwaben die dritte Region des Freistaats. 'Schwaben' ist zugleich der Name einer viel größeren historischen Landschaft, deren Ausdehnung unklar istwas zu 'Schwaben" gehört und was nicht, hat sich im Verlauf der Geschichte mehrfach verschoben. Der Artikel schildert die Ursprünge Schwabens, sein wechselvolles Verhältnis zu Bayern, und wie sich Bayern im 19. Jahrhundert den östlichen Streifen des vormaligen Schwaben aneignete.

Die Geschichte Bayerisch Schwabens muss anders erzählt werden als die Altbayerns oder Frankens. Während dort historische Linien ungebrochen vom Mittelalter bis heute führen, bezieht sich 'Schwaben' auf ein in der Geschichte versunkenes Land: einst Baierns Schwester-Herzogtum im Süden des deutschen Sprachraums, zerfiel Schwaben im 13. Jahrhundert. Mehrere Staaten traten sein politisches Erbe an, darunter Baden und Württemberg, die Schweiz, sogar Frankreich (mit dem Elsass), und bis ins 19. Jahrhundert auch Österreich. In napoleonischer Zeit erwarb Bayern—nach jahrhundertelangen, meist erfolglosen Versuchen, sich im vormaligen Schwaben festzusetzen—schließlich das Gebiet zwischen Lech und Iller, und König Ludwig I. schuf den Kreis ‘Schwaben und Neuburg’: den Vorläufer des heutigen Regierungsbezirks.

Antike Vorläufer: Sueben...

Julius Cäsar, Schwabenkrieger 

Was ist eigentlich ein ‚Schwabe‘? Der Begriff taucht—als lateinisch ‚Suebi‘—erstmals bei römischen Autoren auf: Julius Cäsar, Tacitus oder Ptolomäus bezeichneten damit germanische Stammesverbände, die Krieg gegen Rom geführt hatten. Wen genau die Autoren meinten, läßt sich heute nicht mehr eindeutig feststellen: die Sueben genossen hohes Ansehen ob ihrer Kampfeskraft, weshalb viele germanische Stämme zu ihnen gezählt werden wollten.

Geographisch und zeitlich entsprechen die Sueben in etwa den Elbgermanen: einer archäologisch definierten Gruppe, die um die Zeitenwende im heutigen Nordostdeutschland und in Böhmen lebte und ähnliche Kulturgegenstände—Kleidung, Keramik, Waffen—benutzte. Während der Völkerwanderung zog ein Teil der Elbgermanen nach Süden. Viele süddeutsche ‚Stämme‘—auch Altbayern und moderne Franken—haben vermutlich elbgermanische Wurzeln. In diesem ursprünglichen Wortsinn sind wir also alle Sueben, bzw. Schwaben.

... und Alamannen

Frühe Ausbreitung der Alemannen
Im dritten nachchristlichen Jahrhundert taucht ein weiterer Begriff auf: „Alamanne“. Um das Jahr 260 nutzten die Alamannen eine Krise des römischen Reiches und verdrängten die Römer aus dem heutigen Baden-Württemberg.[1] Alamannen heißt „alle Männer“, was auf einen losen Zusammenschluss von Menschen deutet, und (noch) nicht auf einen ethnisch definierten ‘Stamm‘. Archäologische Funde legen nahe, dass die meisten Alamannen Elbgermanen waren, und damit Sueben.

In den folgenden Jahrhunderten bezeichneten ‘Schwabe‘ und ‚Alemanne‘ meist das Gleiche: im Frühmittelalter war ‚Alemanne‘ gebräuchlicher, später dann ‚Schwabe‘. Die heute übliche Begriffstrennung stammt erst aus dem 19. Jahrhundert, als die Badener Markgrafen nach Wegen suchten, sich von Württemberg abgrenzen. Sie beanspruchten das Wort ‚Alemanne‘ für sich und nannten die Württemberger fortan ‘Schwaben’. Historisch betrachtet führt diese Unterscheidung eher in die Irre.

Baierns Schwesterregion

Schwabens (bzw. Alemanniens) Frühgeschichte verlief weitgehend parallel zu der Baierns. Um das Jahr 500 verloren alemannische Verbände mehrere Schlachten gegen den Frankenkönig Chlodwig und mussten sich seiner Vorherrschaft unterwerfen.[2] Chlodwigs Nachfolger setzten ‚Duces‘ aus fränkischem Adel ein, die das Land an ihrer Stelle verwalten sollten: Alemannien wurde zum Herzogtum.

Der Lech: mittelalterliche Verwaltungsgrenze

Am Lech grenzte Alemannien an das ebenfalls von den Franken eingerichtete Herzogtum Baiern. Im 6. Jahrhundert war der Lech noch eine reine Verwaltungsgrenze, denn greifbare Unterschiede zwischen Alemannen und Bajuwaren sollten sich erst später herausbilden. Im Süden endeten beide Herzogtümer zunächst am Alpenrand. Schon bald aber rückten alemannische Siedler in die Bergtäler vor und verdrängten die romanisch-keltische Vorbevölkerung. Frühe Zentren alemannischer Kultur waren die Bischofssitze Konstanz und Augsburg. Dazu kamen Klöster: im 8. Jahrhundert Sankt Gallen und Reichenau, etwas später Kempten, Füssen und Ottobeuren.

Das erste alemannische Herzogtum endete tragisch. Im 8. Jahrhundert geriet Alemannien in das Visier der Karolinger, welche die Macht im Frankenreich zentralisieren wollten.[3] Ab ca. 730 verstrickte Karl Martell die Alemannenherzöge in bittere Kämpfe. Sein Sohn Karlmann vollendete das Werk: im „Blutgericht von Canstatt“ ließ er 746 den Großteil des alemannischen Adels hinrichten und löste das Herzogtum auf.

Erst Reichsland...

Schwaben und Hochburgund um 1000
Anfang des 10. Jahrhunderts, als die Karolinger ausstarben, formten sich die Stammesherzogtümer neu. Hier aber enden die Parallelen mit Baiern: denn anders als das Nachbarland verblieb Schwaben—wie es nun meist genannt wurde—fest im Griff der Zentralmacht. So ignorierte König (und später Kaiser) Otto der Große den lokalen Adel und belehnte 950 seinen Sohn Liudolf mit dem Herzogtum. Von da an hatten meist diejenigen das Sagen in Schwaben, die auch die Geschicke im Reich bestimmten: Konradiner, Ottonen, Salier. Schwaben wurde zum Reichsland.

Die letzte große schwäbische Herrscherfamilie waren die Staufer. Fast 200 Jahre lang—von 1079 bis 1268—stellten sie den schwäbischen Herzog, beinahe ebenso lang den römischen-deutschen König. Der letzte Staufer, Konradin, ließ sich auf ein Kriegsabenteuer in Italien ein. Sein Onkel, Herzog Ludwig von Baiern-München, stellte ihm ein Heer zusammen, allerdings um den Preis der Verpfändung staufischer Gebiete. Konradin scheiterte und wurde auf dem Marktplatz von Neapel hingerichtet. Im Zuge des ‚konradinischen Erbes‘ fielen erstmals Gebiete westlich des Lechs an Baiern: Donauwörth, Gundelfingen, Lauingen, Schongau, die Herrschaft Schwabegg westlich von Landsberg.

... dann zerbröselt

Schwabens Ende
Mit Ende der Staufer zerfiel auch bald das Herzogtum, denn niemand besaß danach genügend Autorität, um Schwaben unter seiner Führung zu vereinen. Ein Machtvakuum entstand im Südwesten Deutschlands, das neuen Kräften erlaubte, sich auszubreiten. So formte sich im späten 13. Jahrhundert die Schweizer Eidgenossenschaft. Herrscher von bislang eher untergeordneter Bedeutung, wie die Württemberger Grafen, konnten ihr Territorium und ihren Einfluss erheblich ausweiten. 

Auch die bairischen Wittelsbacher hätten sich gern noch stärker an der schwäbischen Erbmasse bedient, doch trat ihnen ein ungewöhnlich fähiger Rivale entgegen: Rudolf von Habsburg, ab 1273 deutscher König.[4] Das Bollwerk, das Rudolf errichtete, sollte Baiern—von wenigen Ausnahmen (Mindelheim, Illertissen) abgesehen—mehr als 500 weitere Jahre aus Schwaben fernhalten.

Rudolfs Bollwerk

Rudolf von Habsburg

Rudolf setzte auf Reichsunmittelbarkeit, um die Konkurrenz in Zaum zu halten: er unterstellte Territorien direkt dem König (=sich selbst), ohne dass ein Landesfürst dazwischengeschaltet gewesen wäre. Davon profitierten insbesondere Ostschwabens Städte. Im Hochmittelalter hatten Handwerk und Gewerbe rasch an Bedeutung gewonnen, ein zunehmend selbstbewusstes Stadtbürgertum wollte seine Angelegenheiten selbst regeln. Der Weg zur Selbstbestimmung führte über das Bündnis mit dem Königtum: Augsburg, Kaufbeuren, Kempten, Lindau und Memmingen erhob Rudolf zu Reichsstädten, unter seinem Sohn Albrecht kam noch Donauwörth dazu. So entstand eine dichte Städtelandschaft, die Ostschwaben noch heute charakterisiert, und die es vom benachbarten Altbayern unterscheidet. 

Zu den Reichstädten kam ebenfalls reichsunmittelbarer Kirchenbesitz: das bischöfliche Hochstift Augsburg—das sich von Dillingen an der Donau bis nach Füssen am Alpenrand erstreckte—die Fürstprobstei des Kemptner Klosters, und kleinere Reichsklöster wie Ottobeuren, Elchingen oder Irsee. Für weltliche Fürsten blieb da wenig Platz. Die wichtigsten waren: (i) die Habsburger selbst, nachdem sie  1301 die Grafschaft Burgau im Westen Augsburgs erworben hatten, (ii) die Wittelsbacher, und (iii) die Grafen von Oettingen nördlich der Donau.[5]

Der schwäbische Reichskreis

1376 schlossen sich die Reichsstädte zum schwäbischen Städtebund zusammen, um sich besser gegen die Territorialfürsten—insbesondere Württemberg und Baiern—wehren zu können. Im 15. Jahrhundert folgte der schwäbische Bund, dem auch weltliche und geistliche Herrschaften angehörten, und im 16. Jahrhundert der schwäbische Reichskreis: ein Zusammenschluss benachbarter Herrschaften, um gemeinsame Angelegenheiten wie die Grenzsicherung und das Münzwesen zu regeln. Der Reichskreis war kleiner als das mittelalterliche Herzogtum: so galt die Schweiz nicht mehr als Teil Schwabens, ebensowenig das Elsass. Das Breisgau zählte als Habsburger-Besitz zum österreichischen Reichkreis.[6]

Augsburg, Ostschwabens Metropole

Die meisten schwäbischen Reichsstädte waren klein: sie zählten allenfalls ein paar tausend Einwohner. Augsburg aber war ein anderes Kaliber. In der Antike war es als “Augusta Vindelicorum” Hauptstadt der römischen Provinz Rätien gewesen; Augsburg lag deshalb an der Schnittstelle mehrerer Römerstraßen, die auch im Mittelalter in Gebrauch blieben. Ein Bischofssitz existierte ab dem 6. oder 7. Jahrhundert, unmittelbar an der bairisch-alemannischen Grenze. Die Augsburger Bischöfe erlangten überregionale Bedeutung als treue Verbündete der Zentralmacht, die bei inneren wie äußeren Konflikten meist zu den fränkischen und (später) deutschen Herrschern hielten.[7] Mit dem Aufkommen des Fernhandels im Hoch- und Spätmittelalter wurde Augsburg zu einem wichtigen Handelsplatz und zu einem Zentrum der Textil- und der Montanindustrie (Bergbau).

Jakob Fugger
Augsburgs große Zeit aber kam im 16. Jahrhundert, als Kaufmanns-Dynastien wie die Fugger und die Welser die Stadt zum Mittelpunkt eines weltweiten Handelsnetzwerkes machten. Um 1600 zählte Augsburg rund 40.000 Einwohner. Gemeinsam mit Nürnberg war es die größte Stadt Süddeutschlands—weit vor München und anderen Residenzstädten. Jakob Fugger, der wohl bedeutendste Unternehmer in Augsburgs Geschichte, diente dem Habsburger-Kaiser Maximilian I. als Hausbankier. Maximilian erhob Jakob 1514 in den Reichsgrafenstand, was jenem erlaubte, Ländereien in Ostschwaben aufzukaufen—ein atemberaubender Aufstieg für eine Familie, die im 14. Jahrhundert noch Weber und Kleinbauern in Augsburgs Umland gewesen waren.

1548 wurde Augburg zur „paritätischen Stadt“: beide Konfessionen waren zugelassen, Ämter wurden zwischen Katholiken und Protestanten aufgeteilt.[8] Der Dreißigjährige Krieg—der in Ostschwaben Verheerungen anrichtete wie in kaum einer anderen Region—zerstörte auch den Religionsfrieden. Der westfälische Friede stellte ihn 1648 wieder her, ihm gedenken die Augsburger seitdem alljährlich im ‚Hohen Friedensfest‘.

Bayerische Schwaben

Der Pate des heutigen Bayerisch Schwaben ist Napoleon. 1803/05 übertrug er Bayern die meisten Reichsstädte und kirchlichen Gebiete Ostschwabens, als ‘Entschädigung’ für den Verlust Bayerns linksrheinischer Besitzungen a das revolutionäre Frankreich. Wenig später wurden auch die kleineren weltlichen Herrschaften zur Verteilungsmasse für die Großen. Wittelsbacher und Habsburger bekämpften einander erneut heftig und versuchten wiederholt, sich auszumaneuvrieren. Als sich jedoch Napoleons Niederlage abzeichnete,  verständigten sie sich darauf, dass Bayern seine Ansprüche auf Salzburg, Tirol und das Innviertel aufgab, während Österreich in Schwaben zurücksteckte. So kam 1806 auch die Habsburger-Exklave Burgau zu Bayern.

Ludwig I., Herzog in Schwaben

Mehr als 500 Jahre nach dem Ende des schwäbischen Herzogtums war Ostschwaben damit größtenteils bayerisch geworden.[9] 1837 schuf König Ludwig I. den Kreis Schwaben und Neuburg, den Vorgänger des heutigen Regierungsbezirks Bayerisch Schwaben. Der Name knüpfte bewusst an das  mittelalterliche Herzogtum an. Ludwig startete eine Charmeoffensive: er bereiste das Land, betonte die Herkunft der Wittelsbacher aus dem bairisch-schwäbischen Grenzgebiet, und nannte sich ‚Herzog in Schwaben‘. 

Zugleich überzogen Bayerns Könige das Land mit einer strikt zentralistischen Verwaltung—ein Schock für das zuvor so kleinteilige, multipolare Ostschwaben. Besonders hart traf es Augsburg. Zwar besaß es längst nicht mehr die Bedeutung wie zu Fugger-Zeiten, aber es war es doch eine herbe Degradierung, jetzt im Schatten Münchens zu stehen: der schnell wachsenden und von Ludwig entschlossen geförderten Residenzstadt, die weniger als 60 Kilometer von Augsburg entfernt lag. 
Quelle: E. Buringh (2020), European Urban Population 700-2000

Die deutsche Revolution von 1848 fand viel Zuspruch in Bayerisch Schwaben, ebenso die Gründung des Kaiserreichs 1870. Bisweilen hatte die Begeisterung einen anti-bayerischen Anstrich—der jedoch nie das Gewicht erlangte wie etwa in FrankenEine Ursache mag darin liegen, dass nur ein Teil des vormaligen Schwaben an Bayern gekommen war. Andere Teile wurde von Herrschern regiert, die den Ostschwaben nicht weniger fremd waren, wie den Württemberger Königen.[10] Ein gesamtschwäbisches Bewusstsein konnte da schwer entstehen. Auch empfanden sich die Bewohner Bayerisch Schwabens nicht notwendig als Einheit—stattdessen bildeten sich im 19. Jahrhundert klein-regionale Identitäten heraus, wie im Allgäu und im Nördlinger Ries. 

Schliesslich war Ostschwaben im 19. und 20. Jahrhundert wirtschaftlich außerordentlich erfolgreich: seine lange Tradition städtischen Gewerbes und die Teilnahme am Fernhandel hatten es besser auf die moderne Industriegesellschaft vorbereitet als andere Regionen. Viele Schwaben sahen ihren Wohlstand als Ergebnis der Eingliederung in den bayerischen Wirtschaftsraum.

Dialekt

Dialekte in Bayerisch Schwaben nach König (2010)
Zum Schluss noch einen Blick auf den Dialekt. Er lässt keinen Zweifel am schwäbischen Erbe der Region: von der Gegend um Aichach abgesehen—die erst 1972 im Zuge einer Gebietsreform zu Bayerisch Schwaben kam und Mittelbairisch spricht—dominieren überall schwäbisch-alemannische Dialekte. Die meisten sind Varianten des Ostschwäbischen, mit Ausnahme der Dialekte des West- und des Oberallgäus, die zum Bodenseealemannischen zählen.[11] ‚Bodenseealemannisch‘ wiederum ist ein Sammelbegriff für Übergangsdialekte, die sich weder dem Schwäbischen (im engeren Sinn) noch dem Hoch- bzw. Höchstalemannischen (=Schweizerdeutsch) eindeutig zuordnen lassen.

Ein anderes Übergangsgebiet liegt in Oberbayern: der Lechrain, die Region zwischen dem Lech im Westen und der Ammer bzw. dem Ammersee im Osten.[12] Der Lechrain war einst gespickt mit Klöstern—Dießen, Steingaden, Wessobrunn—die erst mit der konradinischen Schenkung (siehe oben) firm in den bairischen Einflussbereich gelangten. Viele lechrainer Klöster besaßen Güter in Tirol, nach den Verlusten des dreißigjährigen Kriegs  füllten sie ihr Land mit tiroler Siedlern auf. So mischen sich im Lechrain ostschwäbische, mittelbairische und südbairische (=tirolerische) Elemente zu einer ganz eigenen Mundart. 

Leider ist das „Lechroanische“ auf dem Rückzug—wie die Dialekte Bayerisch Schwabens auch.

 

Der Artikel stützt sich auf eine Vielzahl von Quellen, die wichtigsten sind: Rolf Kießling, „Kleine Geschichte Schwabens“ (2013); Werner König, „Kleiner Sprachatlas Bayerisch Schwabens“ (2007); und der Aufsatz von Pankraz Fried (2012) „Geschichte Bayerisch Schwaben“ auf der Webseite lechrain1.de. Dazu mehrere Artikel aus dem „Historischen Lexikon Bayerns“ und von Wikipedia.

Bildnachweise: sämtlich Wikimedia Commons, mit Ausnahme von "Dialekte in Bayerisch Schwaben", was dem Historischen Lexikon Bayerns entstammt. "Einwohnerentwicklung Augsburg und München” ist eine eigene Arbeit.


[1] Rom nahm daraufhin seine Grenze zurück: sie verlief jetzt entlang der Donau, der Iller, des Bodensees, und des Rheins. D.h. anders als Baden-Württemberg verblieb der Großteil des heutigen Bayerisch Schwaben beim römischen Reich. Es lag jetzt jedoch im unsicheren Grenzland. Augsburg und Kempten—die ältesten Städte im Freistaat—wurden 270 von Alamannen zerstört. Kempten wurde nicht wieder aufgebaut und erst 500 Jahre später als Klostersiedlung neu gegründet.

[2] Für einige Jahrzehnte flüchteten sich die Alemannen unter die Schutzherrschaft des Ostgotenkönigs Theoderich. 536 überließ ein Nachfolger Theoderichs den Franken kampflos das Voralpenland.

[3] Die Karolinger handelten zunächst als „Hausmeier“—d.h. Verwalter—des fränkischen Reichs im Auftrag der Merowinger-Könige, ab Pippin (751) stellten sie dann selbst den König. Alemanniens Schicksal war kein Einzelfall: zwischen 716 und 719 beseitigte Karl Martell das Hedenen-Herzogtum in Würzburg, 788 setzte Karl der Große—Martells Enkel—den Baiernherzog Tassilo ab.

[4] Rudolf ist eine der prägendsten Figuren des Spätmittelalters. Bis zum Alter von 55 Jahren war er ein mäßig bedeutender Graf im südlichen Elsass und im Aargau (heutige Schweiz). 1273 verständigten sich Deutschlands Kurfürsten dann überraschend auf Rudolf als deutschen König. Zum einen wollten sie die chaotische, königslose Zeit des ‚Interregnums‘ beenden. Zum anderen galt es, Ottokar, den König Böhmens, als deutschen König zu verhindern, der nach dem Aussterben der Wiener Babenberger 1246 die Herzogtümer Österreich, Steiermark und Kärnten unter seine Kontrolle gebracht hatte und eine Machtfülle besaß wie kein anderer deutscher Fürst. Ottokar wehrte sich gegen die Ausbootung und zog in den Krieg. Rudolf, gestützt auf eine breite Kriegskoalition, gewann und entzog Ottokar die österreichischen Herzogtümer. 1282 belehnte er damit seine Söhne: die lange Herrschaft der Habsburger über Österreich nahm ihren Anfang.

[5] Burgau war ein Teil ‚Vorderösterreichs‘ und damit des—letztlich erfolglosen—Bestrebens der Habsburger, Tirol und Vorarlberg mit ihren Besitzungen im Elsass und (ab dem 14. Jahrhundert) im Breisgau zu verbinden. 

[6] Der schwäbische Reichskreis war in Viertel eingeteilt (siehe Karte). Dem östlichen Viertel stand das Hochstift Augsburg vor, es entsprach grob dem heutigen Bayerisch Schwaben.

[7] So Bischof Simpert—ein Verbündeter Karls des Großen im Konflikt mit dem Baiernherzog Tassilo—und Bischof Ulrich, der Otto den Großen 955 in Kampf gegen die Ungarn unterstützte. Im Spätmittelalter verloren die Bischöfe die Kontrolle über die Stadt Augsburg und verlegten ihre Residenz schliesslich nach Dillingen an der Donau.

[8] Die Reformation errang in Schwaben wichtige Erfolge, insbesondere den Übertritt der Württemberger Herzöge zum Luthertum. In Ostschwaben behinderten der große Kirchenbesitz und der Einfluss der Wittelsbacher die neue Lehre. Festsetzen konnte sie sich vor allem in den Reichsstädten: Kempten, Memmingen, Lindau und Nördlingen wurden evangelisch, Kaufbeuren paritätisch (wie Augsburg).

[9] Zeitweise (1803-10) ragte Bayern noch tiefer nach Schwaben hinein. Napoleon erzwang jedoch einen Ausgleich zwischen seinen Verbündeten Bayern und Württemberg, und schrieb (über weite Strecken) Iller und Donau als Grenze fest. Damit musste Bayern u.a. Ulm wieder herausgeben—nach Augsburg die bedeutenste schwäbische Reichsstadt. Nur ein paar Ulmer Häuser südlich der Donau verblieben bei Bayern. Aus ihnen sollte sich Neu-Ulm entwickeln, heute nach Augsburg und Kempten die drittgrößte Stadt Bayerisch Schwabens.

[10] Manche betrachten Württemberg als Nachfolger Schwabens. Württemberg war zunächst aber nur eines von vielen schwäbischen Territorien. Nach dem Zerfall des Herzogtums konnten es sein Gebiet vergrößern, aber auch in seiner größten Ausdehnung deckte Württemberg höchstens ein Drittel des einstigen Schwaben ab. Der Norden Württembergs wiederum greift über Schwaben hinaus und liegt im süd- (Heilbronn) bzw. ostfränkischen (Tauberbischofsheim) Sprachgebiet.

[11] Augsburg hat seinen eigenen Stadtdialekt. Dessen Grundstruktur ist zwar eindeutig Schwäbisch, es sind aber bairische Charakteristiken eingesprenkelt. So ist ein Haus in Augsburg ein „Haos“, mehrere davon sind „Haiser“—nicht „Hous“ und „Heiser“ wie im Schwäbischen.

[12] Lechrain bezeichnet eine Landschaft, seine Ausdehnung ist nicht eindeutig festgelegt. Der Süden zählt zum ‚Pfaffenwinkel‘, er hat seinen Namen von den vielzähligen Klöster und Pfarrkirchen der Gegend. 

Donnerstag, 12. Oktober 2023

Franken ist anders

Die fränkischen Regierungsbezirke bilden nicht nur ein Drittel des Freistaats Bayern, sie beherbergen auch sieben seiner zwölf größten Städte: Nürnberg, Würzburg, Fürth, Erlangen, Bamberg, Bayreuth, Aschaffenburg. Höchste Zeit, den Franken und ihrer Geschichte einen eigenen Artikel zu widmen. Woher kommen die Franken? Sind sie die Nachkommen Karls des Großen? Sind Franken und Altbayern verwandt? Ist Nürnberg Frankens historische Hauptstadt? Antwortversuche auf diese und andere Fragen.

Kaum etwas ist Franken wichtiger, als nicht für (Alt-)bayern gehalten zu werden—und dies mit vollem Recht. Nicht nur sprechen Franken kein Bairisch, ihre Geschichte spielte sich auch mehr als 1000 Jahre lang getrennt von Baiern ab: erst Anfang des 19. Jahrhunderts nutzte Graf Maximilian von Montgelas die Wirrungen der napoleonischen Zeit, um den Großteil Frankens dem Königreich Bayern einzuverleiben.

Die fränkische Geschichte nachzuerzählen ist allerdings nicht einfach. Sie ist voller Begriffsverschiebungen und Brüche, zeitlich führt sie zurück bis in die Antike, räumlich in Gebiete, die hunderte Kilometer vom heutigen Franken entfernt liegen. Eine fränkische Identität formte sich nur schrittweise, sie basiert weniger auf gemeinsamen politischen Traditionen als auf räumlicher Nähe und einem gemeinsamen Dialekt.

Der Ursprung des Begriffs ‚Franken‘

Das antike Franken
Der Begriff ‚Franken‘ taucht erstmals im dritten nachchristlichen Jahrhundert auf. Germanische Stammesverbände am Niederrhein—die Chattuarier, Brukterer, Usipeter, etc.—hatten den Römern heftig zugesetzt, weshalb römische Autoren sie als „heftig“ oder „frech“ bezeichneten, also als: fränkisch. Der Niederrhein ist (grob gesprochen) die Gegend zwischen Bonn und der Rheinmündung und liegt hunderte Kilomenter vom heutigen Franken entfernt.

200 Jahre später war das römische Reich in Auflösung begriffen. Angeführt von Chlodwig I.—einem Kriegsherren aus der Familie der Merowinger, der sich zum Herrscher über alle fränkischen Stammesverbände aufgeschwungen hatte—eroberten die Franken erst den Großteil des heutigen Frankreichs, und besiegten dann in mehreren Schlachten (496, 506/7) die Alemannen. Chlodwigs Sohn Theuderich unterwarf 531 auch noch die Thüringer, und 536 übertrugen die Ostgoten den Franken kampflos das Voralpenland, um sich den Rücken freizhuhalten für ihren (letztlich erfolglosen) Überlebenskampf gegen das mächtige Byzanz.

Altfränkische Expansion, 481-555
Den ‚Altfranken‘—wie wir sie hier zur Unterscheidung vom modernen Franken nennen—war so ein riesiges Gebiet zugefallen, das sich weit über ihren ursprünglichen Siedlungsraum erstreckte. Die Merowinger-Könige bedienten sich verschiedener Strategien, um die Macht abzusichern. In entfernt liegenden Gegenden, wie Baiern oder Alemannien, setzten sie Herzöge aus fränkischem Adel ein, die stellvertretend Verwaltung und Gebietssicherung übernahmen. In angrenzende Regionen hingegen entsandten die Altfranken Kolonisten, um dort unmittelbar die Kontrolle zu übernehmen. Ab Mitte des 6. Jahrhunderts zogen fränkische Siedler erst den Mittelrhein und dann den Main hinauf. Um das Jahr 600 erreichten sie Unterfranken, ab ca. 650 gibt es einen fränkischen ‚Dux‘ mit Sitz in Würzburg (siehe unten).[1]  

Der Begriff ‚Franken‘ ist zugewandert, nicht die Menschen

Waren die zugewanderten Altfranken die Vorfahren der heutigen Franken? Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war diese Ansicht durchaus verbreitet, heute gilt sie als Geschichtsmythos. Die entscheidende Einsicht lieferte die Sprachwissenschaft: der fränkische Dialekt—den Linguisten „Ostfränkisch“ nennen—enthält kaum Spuren jener altfränkischen Sprache, welche die antiken und frühmittelalterlichen Franken sprachen.[2] Ostfränkisch ist stattdessen eng mit benachbarten Dialekten verwandt, inbesondere dem Bairischen und dem Schwäbisch-Alemannischen, mit denen es die oberdeutsche Großdialektgruppe bildet.

Plausibler ist, dass eine relativ kleine Anzahl altfränkischer Zuwanderer auf eine größere Vor-Bevölkerung stießen und rasch in dieser aufging. Diese Vor-Bevölkerung hatte sich nach der Völkerwanderung aus derselben, elbgermanisch geprägten Gemengelage geformt, aus der auch die anderen Stämme des süddeutschen Raums hervorgegangen sind: Alemannen, Baiern, Langobarden, Thüringer.

Sprache und Besiedelung

Sprachräume in Franken nach Klepsch (2009)
Der Dialekt enthält weitere Hinweise auf die Vor- und Frühgeschichte.[3] Das Unter-Ostfränkische um Würzburg etwa teilt wichtige Merkmale mit dem Thüringischen—und tatsächlich ist es im Frühmittelalter schwierig, zwischen ‚Franken‘ und ‚Thüringen‘ genau zu unterscheiden. Die Regionen standen zeitweise unter gemeinsamer Herrschaft und müssen in engem Austausch gestanden haben. Erst ab dem 9. Jahrhundert entwickelten sich Unter-Ostfränkisch und Thüringisch deutlich auseinander.  

Anders liegen die Verhältnisse beim Ober-Ostfränkischen, dem Dialekt Oberfrankens und des westlichen Mittelfranken—geographisch von Unter-Ostfränkisch durch die sogenannte ‚Steigerwaldschranke‘ getrennt. Ober-Ostfränkisch ist jüngeren Datums: seine Entstehung fällt zusammen mit der Expansion Frankens nach Osten.[4] Ausgangspunkt war das 1007 gegründete Bistum Bamberg, Ziel die Christianisierung slawisch besiedelter Gebiete.  

Slawische Ortsnamen

Bis heute verraten viele oberfräkische Ortsnamen das slawische Erbe: Treunitz, Rehau, Osseck, Schorgast. An der Osterweiterung müssen auch Hessen und Pfälzer teilgenommen haben, denn im Ober-Ostfränkischen finden sich lautliche Merkmale, die zwar typisch für die rheinfränkischen Dialekte Hessens und der Pfalz sind, in Unterfranken aber fehlen (etwa „Staan“ für „Stein“—in Unterfranken heißt es „Steen“).

Die fränkische Osterweiterung griff über das slawische Gebiet hinaus—wie erneut die Sprache verrät. Im Osten und Süden Frankens mischen sich bairische Töne in den Dialekt. In Nürnberg etwa heißt der Schuh „Schouh“, in Weißenburg die Brühe „Bröih“. Diese ‚gestürzten Diphtonge‘ sind typisch für das Nordbairische (=Oberpfälzische)—und tatsächlich wurde der fränkische Osten im 7.-9. Jahrhundert zunächst vom Bistum Regensburg aus besiedelt. Erst ab dem 12. Jahrhundert kamen Siedler aus ober-ostfränkischen Gebieten hinzu, insbesondere nachdem die Staufer Nürnberg zum Königshof ausgebaut hatten

Seitdem verfränkelt der Nürnberger Raum—ein Prozess, der bis heute andauert. Auf Dialektkarten jedoch findet sich die frühmittelalterliche Siedlungsgrenze weiterhin als „nordbairische Westschranke“. Sie verläuft quer durch Mittelfranken: Nürnberg und Fürth liegen auf der ‚bairischen‘ Seite der Schranke, Erlangen und Ansbach auf der fränkischen.

Franken bekommt seinen Namen

Soweit zur Siedlungsgeschichte. Seit wann aber wissen die modernen Franken, dass sie ‚Franken‘ sind? Der Historiker Jürgen Petersohn unterscheidet mehrere Phasen der ‚Frankogenese‘:

·    Im Frühmittelalter war die Gegend um Würzburg namenlos.

West- und Ostfranken um das Jahr 1000

·    Im 10. Jahrhundert setzte sich dann der Begriff „Ostfranken“ durch, auf Latein „Francia Orientalis“. Das Gegenstück war „Westfranken“ (oder „Francia Occidentalis“), welches das heutige Hessen, Rheinland-Pfalz, und das nördliche Baden-Württemberg umfaßte. Die Grenze der zwischen den beiden Franken verlief quer durch den Spessart. Bis heute bildet der Spessartkamm die Grenze zwischen ostfränkischen und rheinfränkisch-hessischen Dialekten.[5]

·    Im 12. Jahrhundert kam schließlich der Begriff „Westfranken“ außer Gebrauch. Stattdessen wurden die Landstriche am Mittelrhein jetzt als „rheinische Gebiete“ oder „Rheinland“ bezeichnet.

Damit hatte das Maingebiet den Namen ‚Franken‘ für sich allein. Zeitgleich verschob sich die lateinische Bezeichung für Ostfranken von „Francia Orientalis“ zu „Franconia“—seitdem der Name für Franken in fast allen Fremdsprachen.

Ein Land, aber kein Staat

Der spätmittelalterliche Frankenbegriff war vor allem geographischer und kultureller Natur—ihm entsprach (meist) kein politisches Gebilde, anders als bei Baiern, Schwaben oder Sachsen. Die Ursache liegt im Verhältnis Mainfrankens zur altfränkischen bzw. (ab 962) deutschen Zentralmacht.

Hierzu etwas Kontext. Machtverschiebungen zwischen Zentrum und regionalen Herrschern prägten die Geschichte in allen deutschen Regionen. Das Herzogtum Baiern etwa war in seiner Frühzeit (ca. 550-715) den Merowinger-Königen nur lose unterstellt—zu weit lag es vom altfränkischen Kerngebiet entfernt, zu groß wäre der Aufwand gewesen, es unmittelbar zu kontrollieren. Mit dem Auftstieg der Karolinger erstarkte die altfränkische Zentralmacht, regionale Fürsten kamen zunehmend unter Druck. 788 setzte Karl der Große den Baiernherzog Tassilo ab und übernahm direkt die Herrschaft. In der Nachfolge Karls kam es dann zu mehreren Landesteilungen, welche die Zentralmacht wieder schwächten—prompt formte sich das bairische Stammesherzogtum 907 neu.

Karl Martell
(Graphik aus dem 16. Jhd)
In Franken war der Zugriff der Zentralmacht stets direkter als in Baiern. In der Frühzeit ab ca. 650 gab es zwar—wie oben erwähnt—einen mainfränkisch-thüringischen Amtsherzog mit Sitz in Würzburg, das sogenannte „Hedenen-Herzogtum“. Es überdauerte aber nur knapp 70 Jahre: irgendwann zwischen 716 und 719 kassierte Karl Martell—der Großvater Karls des Großen—es ein. Von da an war Mainfranken meist Königsprovinz, d.h. direkt den altfränkischen und (ab 962) deutschen Kaisern und Königen unterstellt. Regionaler Hegemon und Identifikationsfigur war ab 742 der Bischof von Würzburg—ein geistlicher Herrscher, der den Frankenkönigen nicht gefährlich werden konnte.

Nur einmal erlangte Franken nochmals kurz Eigenständigkeit—während der gleichen Schwächephase des Reiches am Anfang des 10. Jahrhunderts, in der sich auch das bairische Stammesherzogtum neu formierte. Ausgangspunkt war die „Babenberger Fehde“, ein blutiger Konflikt um die Vorherrschaft im Maingebiet zwischen der mainfränkischen Adelsfamilie der Babenberger und ihren rheinfränkischen Rivalen, den Konradinern.[6] Die Konradiner setzten sich durch und errangen nach dem Aussterben der Karolinger 911 sogar die Königskrone. Sie beharrten aber nicht auf ihr, sondern handelten ein Abkommen mit den aufstrebenden Sachsenherzögen aus: die Konradiner halfen dem Sachsen Heinrich bei der Königswahl von 919, dafür sicherte jener dem Konradiner Eberhard fast unbeschränkte Herrschaft in Ost- und Westfranken zu. Aber auch dieses zweite fränkische Herzogtum war nur von kurzer Dauer: schon 939 setzte ihm Heinrichs Sohn, Kaiser Otto I., ein Ende.

Der fränkische Flickenteppich

Das eifersüchtigte Wachen der Zentralmacht, niemand zu stark werden zu lassen, begünstigte die Ausbildung zahlreicher mittlerer und kleinerer Herrschaften, die für Franken so typisch ist.[7]

·    Im mainfränkischen Kerngebiet— grob dem heutigen Unterfranken entsprechend—dominierten, wie schon erwähnt, die Würzburger Bischöfe. Sie sahen sich gern als die eigentlichen Wahrer des Frankentums, und gaben sich im Spätmittelalter sogar den Titel „Herzöge in Franken“. Dies blieb aber ohne praktische Konsequenzen, da die Bischöfe herzögliche Kernkompetenzen, wie die Oberaufsicht über das Gerichtswesen, stets nur in ihrem unmittelbaren Herrschaftsbereich durchsetzen konnten.

Nürnberger Burg

·    Speerspitze der fränkischen Osterweiterung war das Bistum Bamberg—es war extra zu dem Zweck gegründet worden. Konkurrenz erwuchs ihm in Gestalt der Nürnberger Burggrafen, welche die Salierkaiser bewusst als Gegengewicht eingesetzt hatten. Ab 1191 stellten die Zollern (später Hohenzollern) die Burggrafen und erwarben ein bedeutendes Territorium im heutigen Ober- und Mittelfranken—finanziert u.a. aus den Erträgen des Bergbaus im Fichtelgebirge.

·    Über diesen „großen drei“ hinaus gab es (i) kleinere fränkische Grafschaften, wie Henneberg, Castell, Rieneck, Hohenlohe, Wertheim, (ii) Reichsstädte wie Hall, Heilbronn, Rothenburg, Schweinfurt, Windsheim, und (iii) zahlreiche niederrangige Herrschaften—etwa Reichsritter, deren Territorien oft nur ein paar Dörfer umfassten.

Nicht zu Franken zählte die Stadt Nürnberg.[8] Wie bereits erwähnt lag sie auf dem Gebiet des bairischen Nordgaus, bis in die frühe Neuzeit sprachen die Stadtbewohner eher bairisch als fränkisch. Aber die Nürnberger empfanden sich auch nicht als Baiern. Als Bürger einer selbstbewussten, großen Kaufmanns-, Handwerker- und Reichsstadt (ab 1219) hegten sie keinen Wunsch, irgendwo dazuzugehören: „...doch wöllen die Nürmberger weder Bayern noch Francken aber ein drittes besunders geslecht sein“, so der nürnberger Humanist Hartmann Schedel in seiner Weltchronik von 1493. Nürnberg stand vor allem für: sich selbst.  

Franken in der Neuzeit

Es würde diesen (ohnehin schon langen) Artikel sprengen, sich auch der Neuzeit noch ausführlicher zu widmen. Drei Entwicklungen bedürfen jedoch der Erwähnung.

·    Erstens ist da die Reichsreform Kaiser Maximilians I. von 1500-1512. Sie schuf zwölf Reichskreise: Zusammenschlüsse benachbarter Herrschaften, die gemeinsam reichshoheitliche Aufgaben wahrnehmen sollten, wie das Münzwesen oder die Landesverteidigung. Nürnberg schlug Maximilian dem fränkischen Reichskreis zu. Von da an wurde es meist zu Franken gezählt.[9]

·    Zweitens die Reformation, beginnend mit Luthers Wittenberger Thesenanschlag 1517. Nürnberg wurde schnell zu einem Zentrum des Luthertums, aber auch die meisten weltlichen Herrschaften Frankens schlossen sich der neuen Lehre an, allen voran die Markgrafen von Ansbach und von Kulmbach-Bayreuth (die Nachfolger der Nürnberger Burggrafen). Die Fürstbischöfe von Würzburg und Bamberg standen auf der anderen Seite des Konflikts: sie wehrten sich vehement gegen den Protestantismus und wurden zu treibenden Kräften der katholischen Gegenreformation.

Die Reformation leitete mehr als 100 Jahre schwerer Konflikte ein, während der fränkische Landstriche wiederholt gewaltsam den Herrscher wechselten. Beruhigung brachte erst das Ende des 30-jährigen Krieges 1648. Frankens Konfessionsgrenzen waren von da an weitgehend festgelegt. Seitdem gibt es einen katholischen (Würzburg, Bamberg, später auch Aschaffenburg) und einen evangelisch-lutherischen (u.a. Nürnberg, Bayreuth, Ansbach) Teil, die ungefähr gleich groß sind. Die katholischen Gebiete sollten sich in der Folgezeit eher nach Süden orientierien—nach Rom, Wien, München—die evangelischen nach Norden, insbesondere Berlin.

·    Schließlich die napoleonischen Kriege von 1800-1815, in deren Zuge Franken größtenteils zu Bayern kam. Geschuldet war dies vor allem dem Geschick des bayerischen Ministers Maximilian Montgelas, der mehrfach rechtzeitig die Kriegsseite wechselte und sich von den jeweiligen Siegern—erst Napoleon, dann der anti-napoleonischen Allianz—königlich entlohnen ließ.

Das moderne Franken

Ganz im Geist der Zeit gab Montgelas dem erneuerten und fast verdoppelten Bayern eine streng zentralistische Ordnung. König Ludwig I. erfand 1838 dann die Regierungsbezirke Unter-, Ober- und Mittelfranken, und nannte sich außer „König von Bayern“ auch „Herzog von Franken“. Sein Franken besteht im Wesentlichen bis heute. Es ist nicht ganz deckungsgleich mit dem traditionellen Franken: das Henneberger Land und der Taubergrund etwa, die einst zum fränkischen Reichskreis gehörten, sind heute Teil anderer Bundesländer (Thüringen bzw Baden-Württemberg). Anderseits umfaßt das bayerische Franken auch Aschaffenburg, das bis 1803 zum Bistum Mainz gehörte und dessen Bewohner hessisch sprechen.[10]

Franken in Bayern

Montgelas‘ und Ludwigs Bayern brachte Gebiete zusammen, die zwar durchaus einiges gemeinsam hatten, vieles aber auch trennte. Gemeinsam sind Altbayern, Franken und Schwaben der oberdeutsche Dialekt und die süddeutsch-elbgermanische Herkunft—Wurzeln, die weit in die Vergangenheit reichen, in vor- und frühhistorische Zeiten.

Würzburg—das erste und einzige Zentrum Frankens
Anders sind vor allem die politischen Traditionen. Baiern war seit seiner Entstehung im 6. Jahrhundert meist ein halb-souveräner Zentralstaat, der ganz auf Herrscher, Hof und Hauptstadt ausgerichtet war. Regensburg war im Früh- und Hochmittelalter der Mittelpunkt Baierns, im Spätmittelalter konkurrierten Landshut und München miteinander, seit der Neuzeit findet das bairische politische Leben in München statt. Für Franken kann man allenfalls im Frühmittelalter—als der Begriff ‚Franken‘ in seiner heutigen Bedeutung noch gar nicht existierte—von Würzburg als Mittelpunkt sprechen. Danach bildeten sich verschiedene Zentren heraus: Bamberg und Nürnberg, Kulmbach, Bayreuth, Ansbach. Diese Zentren existierten nebeneinander, standen für unterschiedliche politische Traditionen, konkurrierten gelegentlich—aber fast nie war eine Stadt der anderen vorgeordnet.

Franken war nun Teil des zentralistischen Bayerns geworden. Für viele Franken war dies ein Schock, insbesondere in den evangelischen Gebieten—und am schlimmsten wohl für die Bürger freier Reichsstädte wie Nürnberg, die sich plötzlich als ‚Fürstenknechte‘ wiederfanden. In den ersten Jahrzehnten der bairisch-fränkischen Zwangsehe provozierte dies heftige Konflikte, bis hin zu Aufrufen nach gewaltsamem Abfall, z.B. während der deutschen Revolution 1849. Entspannung brachte erst die Eingliederung ganz Bayerns 1871 in das Deutsche Reich: Franken bekam so einen zweiten Bezugspunkt.

Inzwischen ist die ‚Ehe‘ mehr als 200 Jahre alt, und es scheint, als seien die meisten Franken in Bayern angekommen—wohl auch, weil es ihnen als Teil des Freistaats nicht so schlecht ergangen ist. Aus Sicht dieses Autors ist das erfreulich. Bayern wäre weit weniger interessant, wenn es nur aus Altbayern bestünde. Und auch Franken wäre enger und begrenzter—a weng fad halt—würde es nur im eigenen Saft schmoren. Darüber hinaus fehlte einem fränkischen Zentralstaat der historische Bezug—tatsächlich eifert ein solcher Wunsch dem bayerischen Beispiel nach.[11]

Der Frankenrechen
Und doch: es wäre schön und angemessen, wenn die Verfasstheit des Freistaats nicht nur altbayerische sondern auch fränkische—und schwäbische—Traditionen widerspiegeln könnte. So sollte der—dem Wappen der Würzburger Bischöfe entnommene—Frankenrechen z.B. selbstverständlich in den fränkischen Regierungsbezirken als zweite Staatsflagge gelten. Nürnberg könnte zur zweiten Landeshauptstadt erhoben werden, Augsburg zur dritten—der traditionellen Multipolarität Frankens und Schwabens Rechnung tragend. Auch Regensburg und Würzburg hätten einen besondereren Status durchaus verdient, angesichts ihrer historischen Bedeutung für Altbayern bzw. Franken.

Schließlich: von 1946 bis 1999 gab es den bayerischen Senat: eine Honoratorenversammlung, die als zweite Parlamentskammer diente, und die ein Volksbegehren zurecht abschaffte. Als förderale Kammer hätte der Senat mehr Sinn gemacht, gebildet aus Vertretern der Regionen des Freistaates. Manche Entscheidungen hätten vielleicht sogar mit einer Sperrminorität von einem Drittel belegt sein können. Ohne Franken wäre dann nichts gegangen—ein Satz, der sich auf fränkisch reimt.



[1]  Die Quellenlage ist dünn, was oft keine genauen Zeitangaben zulässt.

[2] Altfränkisch entwickelte sich weiter zum Niederfränkischen, was wiederum die Grundlage der modernen niederländischen Hochsprache bildet. Anders als Ostfränkisch weisen rhein- und moselfränkische Dialekte—grob die Dialekte Hessens, des Saarlands und von Rheinland-Pfalz—stärkere altfränkische Prägung auf. Im Frühmittelalter war die Ähnlichkeit noch größer, im Zuge der zweiten germanischen Lautverschiebung—welche die rhein- und moselfränkischen Dialekte zum Teil mitmachten, das Niederfränkische aber nicht—drifteten sie jedoch auseinander.

[3] Dieser Abschnitt folgt eng der Argumentation des Sprachwissenschaftlers Alfred Klepsch.

[4] Die fränkische Expansion geschah im Kontekt der deutschen Ostsiedlung—eines weit größereren Prozesses des Hochmittelalters, zu dem auch die Expansion Baierns donauabwärts in das Wiener Becken zählt.

[5]  Franken“ bezeichnete im 10. Jahrhundert also jene Gegenden an Mittelrhein und Main, welche die Altfranken im Frühmittelalter erobert hatten—und nicht mehr das antike Siedlungsgebiet am Niederrhein. Lezteres hieß inzwischen „Niederlothringen“ nach dem fränkischen Teilkönig Lothar II., dem in der Teilung von Prüm 855 „Lotharingien“ mit Hauptstadt Aachen zugesprochen worden war. „Ostfranken“ und „Westfranken“ dürfen nicht mit den ostfränkischen und dem westfänkischen Reichen verwechselt werden, die im Zuge der fränkischen Reichsteilung von 843 entstanden (Vertrag von Verdun). Ost- und Westfranken waren beide Teil des ostfränkischen Reichs, aus dem westfränkischen Reich entwickelte sich Frankreich.

[6] Die Stammburg der Babenberger lag auf dem heutigen Bamberger Domberg.

[7] Der politischen Zersplitterung entsprechen kleingliedrige Dialekträume: während in Altbayern der Dialekt zwischen Ingolstadt, Landshut und Rosenheim weitgehend identisch ist, können sich in Franken Aussprache und Vokabular von einem Dorf zum nächsten merklich ändern.

[8] Ebensowenig Weißenburg.

[9] Es gab auch keine andere praktische Möglichkeit, denn die benachbarte Oberpfalz ging an den kurrheinischen Kreis. Der bairische Kreis (der u.a. auch Salzburg enthielt) war damit weit entfernt.

[10] Ebensowenig berherbergt der Freistaat Bayern allerdings alle Bairisch-Sprecher—der größere Teil lebt in Österreich.   

[11] Nach Ansicht dieses Autors sollten wir Europäer ohnehin lernen, innerhalb unserer Grenzen zu leben, und nicht bei jeder Unstimmigkeit versuchen, die Landkarte neu zu zeichnen. Wenig hat in der europäischen Geschichte mehr Schaden angerichtet als dieser Reflex.    

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Die Hauptquellen für diesen Artikel sind Anna Schieners ‚Kleine Geschichte Frankens‘ (7. Auflage, 2022), ‚Franken im Mittelalter‘ von Jürgen Petersohn (2008) und das ‚Fränkische Dialektbuch‘ von Eberhard Wagner (1987). Ferner der Aufsatz ‚Fränkische Dialekte‘ von Alfred Klepsch im Historischen Lexikon Bayerns (2009), sowie ältere sprachhistorische Werke, insbesondere ‚Sprachraumbildung und Landesgeschichte im östlichen Franken‘ von Hugo Steger (1968) und ‚Die Deutsche Schreibsprache in Nürnberg von ihrem ersten Auftreten bis zum Ausgang des 14. Jahrhunderts‘ (1954) von Josef Pfanner. Sehr hilfreich auch der youtube-Kanal "Franken Herz Europas" von Johannes Pechstein, der mich u.a. auf Petersohn verwies. 

Bildnachweise: alle Wikimedia Commons, bis auf 'Sprachräume in Franken', das dem Artikel Alfred Klepschs im Historischen Lexikon Bayerns entnommen ist.